Haushaltsrede 2008

Thomas Sanden
Thomas Sanden

„Sehr geehrter Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren,

zunächst eine Vorbemerkung zum nunmehr zweiten Haushalt im „Neuen kommunalen
Finanzmanagement (NKF)“:  Mit Einführung des NKF hat der Gesetzgeber den Rat beauftragt, über den Produkthaushalt die Verwaltung zu steuern und zu kontrollieren. Während aus verwaltungsrechtlicher Sicht (vgl. § 40 GO) der Gemeinderat nach wie vor Verwaltungsorgan und Teil der Exekutive (nicht Legislative) ist, erhält er im NKF faktisch wieder Parlamentscharakter. (Stichwort Produkthaushalt:) Produkte sollen den Bedürfnissen der Bürger gerecht werden. Also ist bereits bei der Zusammenstellung von Verwaltungsleistungen zu einem „Produkt“ und seiner Benennung darauf zu achten, dass dies nachfrageorientiert geschieht.
Anschließend muss das Produkt, ausgehend von der Zielgruppe, für die es erstellt wird, beschrieben werden. Bei der Produktbeschreibung ist darauf zu achten, dass so differenziert beschrieben wird, dass einzelne Leistungen zu Steuerungs- und Kontrollzwecken mit
Kennzahlen belegt werden können. Hier hat sich die Kämmerei sehr viel Mühe gegeben. Schönen Dank dafür.

Weiterhin sollen für jedes Produkt auf der Grundlage von Qualitätsbeschreibungen Ziele formuliert und zwischen Rat und Verwaltung vereinbart werden (Kontrakte). Dies ist in diesem Jahr noch nicht geschehen. Wieder einmal ist in den Haushaltsberatungen kein einziger Änderungsantrag zum Haushaltsentwurf gestellt worden. Ich kann die FDP von diesem Versäumnis natürlich nicht ausnehmen, aber um diesen nächsten und für die Politik und die  Bürger interessantesten Schritt im NKF zu machen (Stichwort Haushaltspolitik) sind 4 Wochen Beratungszeit zwischen Einbringung und Verabschiedung des Haushalts viel zu wenig. Dennoch stimmt die FDP dem vorliegenden Entwurf zu. Aber gestatten Sie mir noch einige Bemerkungen zum Haushalt selbst, zunächst zu den Ausführungen des Bürgermeisters und des Kämmerers, die vor allem deshalb so interessant
sind, weil aus ihnen durchaus unterschiedliche politische Bewertungen der uns vorliegenden Zahlen zu entnehmen sind. Beide kommen in Teilen zu deutlich unterschiedlichen Schlussfolgerungen, was unseren Handlungsbedarf angeht.

  1. Während der Bürgermeister feststellt, unsere Haushaltslage sei durchaus handhabbar und zu bewältigen, weil wir in den Folgejahren mit in ihrer Höhe abnehmenden Haushaltsdefiziten zu tun hätten, weist der Kämmerer korrekterweise auf Unwägbarkeiten hin. So sei die Entwicklung der Salden zwischen Aufwand und Ertrag in den Folgejahren sehr optimistisch eingeschätzt worden. Diese Schätzung setze
    steigende Gewerbesteuereinnahmen voraus. Auch seien die Auswirkungen der Unternehmensteuerreform konkret auf die Finanzen der Stadt zurzeit nicht bezifferbar.
  2. Weiterhin behauptet der Bürgermeister, mit den geplanten Investitionen können sich Rat und Verwaltung haushaltswirtschaftlich und volkswirtschaftlich durchaus sehen lassen. Der Kämmerer hingegen stellt fest, der Umfang der geplanten Investitionen sei abhängig
    davon, ob veranschlagte Landeszuweisungen auch tatsächlich gewährt werden. Außerdem weist er auf die aus den geplanten Investitionen resultierende Neuverschuldung hin, die allein in diesem Jahr die Gesamtverschuldung der Stadt um mehr als 10 % ansteigen lässt und in den Folgejahren über den immer weiter ansteigenden Schuldendienst für eine erhebliche Belastung des Haushalts sorgen wird.
  3. Trotz anerkannten Konsolidierungsdrucks stehe, so der Bürgermeister, die Stadt zu ihren Einrichtungen. Hans-Peter Sturm dagegen zitiert dankenswerterweise aus dem kommunalen Schuldenreport der Bertelsmann-Stiftung, in dem es u.a. heißt, die seit 2004 wieder gestiegenen Gewerbesteuereinnahmen änderten an der über Jahre entstandenen strukturellen Schieflage nur wenig. Es sei empirische Erfahrung, dass
    Einnahmesteigerungen nicht zwangsläufig zu geringeren Haushaltsdefiziten führen und unstreitig, dass die Krise der Gemeindefinanzen verstärkt aufgaben- und damit ausgabenseitig gelöst werden muss.

Was müssten wir eigentlich daraus lernen? Bereits in 2005 hat die Gemeindeprüfungsanstalt (GPA) in ihrem vergleichenden Bericht zu unseren freiwilligen Leistungen festgestellt (ich zitiere teils wörtlich):

  • Die Stadt hält für ihre Bürgerinnen und Bürger ein umfassendes Angebot an Infrastruktureinrichtungen vor. Im Hinblick auf die Haushaltslage sollten diese auf ihren Bedarf und ihre Finanzierbarkeit näher untersucht werden. Ferner sollte eine umfassende Aufgabenkritik stattfinden und die sich hierbei ergebenden Einsparpotentiale konsequent umgesetzt werden.
  • Das vorhandene Dienstleistungsspektrum in Meinerzhagen ist gemessen an der Größenordnung als umfangreich zu bewerten und ein Grund für höchste Personalquoten.
  • Der strukturell defizitäre Haushalt erzwingt einen Umdenkprozess. Um Konsolidierungsbeiträge zu erschließen, kann u.a. eine Senkung des
    Dienstleistungsangebotes im Bereich der freiwilligen Leistungen zielführend sein. Handlungsmöglichkeiten bestehen in Form von Abbau freiwilliger Leistungen z.B. im Bereich der Bäder oder von Übertragung von Aufgabenträgerschaften auf Vereine oder Private z.B. im Bereich des Sports, der Musikschule oder auch der Stadthalle.
  • Bereits jetzt ist erkennbar, dass sich im Durchschnitt die strukturelle Situation gerade der kreisangehörigen Kommunen unter 25.000 Einwohnern infolge höherer Gewerbesteuereinnahmen und ergriffener Konsolidierungsmaßnahmen verbessert hat, während sich die Haushaltslage in Meinerzhagen eher verschlechtert.

Wer sind wir denn, meine Damen und Herren, dass wir uns anmaßen, solche Erkenntnisse wie die des von Hans-Peter Sturm zitierten kommunalen Schuldenreports und die der GPA, die uns nun lange genug vorliegen, einfach in den Wind zu schreiben. Ignoranz und Arroganz sind Verwandte, die oft gemeinsam auftreten. Ich fürchte, uns ging es in der Vergangenheit zu gut. Und offensichtlich geht es uns immer noch so gut, dass wir selbstzufrieden glauben, unseren Bürgerauftrag, Zukunft zu gestalten, auch weiterhin ignorieren zu können. Soviel zu unseren freiwilligen Leistungen, und nun zur Neuverschuldung. Wie kann man ernstlich der Auffassung sein, wir könnten uns mit unseren Investitionen haushaltswirtschaftlich und volkswirtschaftlich sehen lassen, wenn diese Investitionen zu 70 % zu Lasten unserer Kinder und Enkel auf Pump getätigt werden. Bei der Beurteilung der Haushaltslage reicht es nicht, die Entwicklung von Aufwand und Ertrag im Hinblick auf den Haushaltsausgleich zu beobachten, wenn wir unter Einbeziehung von Neuverschuldung und Kassenkrediten feststellen müssen, dass 40 % unseres Haushaltsvolumens auf der Aufwandseite nicht erwirtschaftet sind. Während uns die GPA noch 2005 einen „sehr umsichtigen Umgang mit Kreditaufnahmen“ attestierte und feststellte, der Schuldenstand der Stadt Meinerzhagen sei im interkommunalen Vergleich unterdurchschnittlich, liegen wir heute, nur 3 Jahre später, bei der Gesamtverschuldung im oberen Drittel aller Kommunen in NRW. Unter der Annahme, dass nach Abzug unserer Pflichtaufwendungen wir etwa 12 % des Haushaltsvolumens zur freien Verfügung haben, werden bereits heute 28 % dieser freien Mittel
für Zinsen ausgegeben – mit unaufhaltsam steigender Tendenz, wenn wir so weitermachen. Durch die Folgen der Neuverschuldung wird unser Handlungsspielraum immer kleiner, und wir sägen auf unverantwortliche Weise den Ast ab, auf dem zukünftige Generationen auch noch
sitzen müssen. Was können wir tun? Oder anders gefragt: Was hätten wir längst tun müssen? Oder nochmal anders gefragt: Was würde wohl der Bürger sagen, vor die Wahl gestellt, ob er ein Freibad Valbert für 38 regelmäßige und einige weitere sporadische Nutzer erhalten sehen
möchte, oder ob wir mit diesen 150 bis 160tausend Euro jährlich, die das kostet, nicht lieber unsere Straßen in einen vernünftigen Zustand bringen sollten. Denn vor dieser Wahl stehen wir, meine Damen und Herren. Beides geht nicht, wie wir alle deutlich sehen können. Was ist unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten davon zu halten, dass wir mit unseren knappen Mitteln, die wir alternativ in die energetische Sanierung unserer Schulen oder in einen Ganztagsbetrieb der Hauptschule, der im Landesdurchschnitt zu einer 10%-igen Erhöhung der Anmeldezahlen in dieser so betriebenen Schulform geführt hat, investieren könnten, stattdessen jeden einzelnen Freibadbesuch in Valbert mit im letzten Jahr fast 40 € und jeden Musikschüler mit mehr als 600 € im Jahr subventionieren, obwohl landauf, landab Beispiele dafür existieren, dass der private Betrieb solcher Einrichtungen schwarze Zahlen hervorbringen kann. Neben der Überführung von öffentlichen Einrichtungen in private Trägerschaft ist Wettbewerb
eine Voraussetzung für bessere haushaltswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Ergebnisse. Damit ist es in Meinerzhagen nicht weit her. Die Stadtwerke wurden vergaberechtswidrig ohne Ausschreibungsverfahren mit Wärmelieferverträgen bedacht, obwohl diese Leistungen ebenso
gut oder besser von privaten örtlichen oder regionalen Anbietern erbracht werden könnten. Bereits vor drei Jahren hat die GPA in ihrem Prüfungsbericht einen (ich zitiere:) „Handlungsbedarf durch die Neuvergabe verschiedener Leistungen im Rahmen formeller Vergabeverfahren“ erkannt. Pikanterweise werden mit dieser Wettbewerbsunterdrückung nicht nur eigene haushaltswirtschaftliche Ziele verfolgt, sondern auch den beiden großen an den Stadtwerken beteiligten Energieversorgern Mark-E und RWE (Rhenag) die Taschen voll gemacht, die wegen ihrer Preispolitik dem kleinen privaten Abnehmer gegenüber permanent in der Kritik stehen. Gegen einen von ihnen hat das Bundeskartellamt vor wenigen Tagen mehrere Missbrauchsverfahren eingeleitet. Beispielsweise führt die Ausschreibung von Wärmebedarf in öffentlichen Gebäuden statt Investition in eigene Heizungsanlagen zu Contracting oder PPP, einer wirksamen Maßnahme zur Eindämmung der Neuverschuldung. Auch das wird bereits seit vielen Jahren landauf, landab erfolgreich praktiziert. Nur hier bei uns wollte sich in der Verwaltung noch niemand mit der längst nicht mehr neuen Materie derartiger Vertragsgestaltungen beschäftigen. Ob beim längst überfälligen Stadtmarketing, beim eben erwähnten Contracting, bei der
interkommunalen Zusammenarbeit, bei der Akquisition privaten Kapitals oder Engagements für freiwillige Leistungen – wir hinken in vielen Bereichen 10 oder 12 Jahre hinter anderen vergleichbaren Kommunen hinterher. So weitermachen wie bisher, das kann nicht das Motto
sein, wenn unsere Stadt vorankommen soll. Der allseits von der Kommunalwissenschaft geforderte Umdenkprozess muss auch in Meinerzhagen endlich stattfinden.“