Kernfusion? Ob der zukünftige Bundeskanzler das noch erlebt?

Beitrag mit Meinung

Schema des Fusionsreaktors ITER. © Oak Ridge National Laboratory
Schema des Fusionsreaktors ITER. © Oak Ridge National Laboratory

Ich ertappe mich immer mehr dabei, dass ich das Geschwurbel einiger Politiker nicht mehr ertragen kann. Immer öfter höre ich da weg – das muss ich ganz ehrlich eingestehen. Und gerade in diesem Wahlkampf fällt es besonders auf.

Von einigen Gruppierungen ist man ja gewohnt, dass komplett populistische Politik abgefahren wird. Bei anderen ist das hingegen noch bedenklicher. Insbesondere bei Markus Söder (CSU) und auch dem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz (CDU) fällt es nun aber besonders auf.

Kernfusion? Macht sicher alles besser!

Ja. Wenn sie denn funktioniert. Und das tut sie eben noch nicht. Das ist aber auch ein verflixt kompliziertes und extrem fummeliges Zeugs mit dieser Kernfusion. Da muss man erstmal ganz viel Energie reinstecken, um den Prozess, der in der Sonne freiwillig abläuft, in Gang zu bekommen. Mehrere Millionen Grad Celsius sind erforderlich.

Ich erinnere mich in letzter Zeit oft zurück an eine Vorlesung an der Uni. Es muss 1991 oder 1992 gewesen sein. Die Zeitungen schrieben von einem Durchbruch in Sachen Kernfusion. Und wir hatten Physik bei Professor Decker, der zufällig genau in diesem Projekt mitarbeitete. Das erste, was er uns an diesem Morgen mit auf den Weg gab, war die Prophezeiung, dass er funktionierende Fusionskraftwerke wohl nicht mehr erleben werde. Wie recht er doch hatte.

Internationaler Forschungsreaktor ITER in Frankreich

Viele Staaten sind an der Forschung zu Kernfusion beteiligt. Viele Milliarden Euro sind bereits in die Forschung investiert worden. Beziffern kann dies so recht niemand mehr, denn genau genommen möchten die Befürworter der Technologie die Gesamtkosten auch gerne etwas kleinreden.

Ein paar Zahlen gibt es aber: Ursprünglich war geplant, dass die EU sich mit 2,7 Mrd. Euro an den Baukosten des Fusionsreaktors ITER beteiligt, dessen Bau im Jahr 2007 begonnen wurde. Bereits im Jahr 2010 waren hieraus bereits 7,3 Mrd geworden. Derzeit geht man allein für die Jahre 2021 bis 2027 von Kosten in Höhe von 6,1 Mrd. Euro aus.

Das gesamte Bauprojekt wird derzeit auf mindestens 50 Mrd. Euro geschätzt, von denen die EU etwa 45% in der Bauphase tragen muss.

Bauverzögerung von wahrscheinlich 20 Jahren oder gar mehr.

Der Projektstart reicht übrigens bis in das Jahr 1989 zurück. Es wird also bereits seit mehr als 35 Jahren geplant und gebaut. Der Startschuss zum Bau erfolgte dann immerhin im Jahr 2007 nach fast 20 Jahren Planung.

Auch hier gibt es wieder ein ursprünglich. Ursprünglich nämlich sollte die Bauzeit etwa 10 Jahre betragen. Gemeint ist hier immer der Bau bis zur ersten Zündung des zwingend notwendigen Plasmas. Für die eigentliche Kernfusion kann man dann noch einmal etwa fünf Jahre draufrechnen.

2016 sollte genau dieses eben stattfinden. 2015 hat man dann sicherheitshalber mal kommuniziert, dass es wohl doch frühestens 2025 werden würde, was die erste Plamazündung angeht.

Aber auch hier kann man direkt wieder beruhigen: So schnell wird das nix. Derzeit rechnet man mit einer Plamazündung im Jahr 2034. Also 2034 bis 2036 – man lernt ja dazu.

Und es ist noch keine einzige Kilowattstunde geflossen

Zumindest bei ITER ist derzeit eben noch keine Kilowattstunde geflossen und es wird wohl auch frühestens 2039 dazu kommen. Bei anderen Reaktoren – zum Beispiel dem JET-Projekt war man da schon etwas erfolgreicher und hat zumindest für einige Sekunden hier und da mal eine Fusionsreaktion und damit einen positiven Energiefluss erreichen können.

Radioaktiver Müll bei Kernfusion?

Leider ja. Auch bei der Kernfusion entsteht radioaktiver Abfall. Die Menge an sich wird vom Bundesamt für die Sicherheit in der nuklearen Entsorgung (der Name ist ähnlich schwierig wie die Kernfusion selbst) auf etwa die zehnfache Menge dessen geschätzt, was bei herkömmlichen Kraftwerken anfällt. Der Fusionsbrennstoff Tritium sendet hochenergetische Neutronen aus, die möglicherweise die gesamte Gebäudesubstanz kontaminieren.

Beim Fusions-Prototypen ITER wird bei einer Laufzeit von 20 Jahren mit einer Abfallmenge von etwa 50.000 Tonnen gerechnet. Dieser Abfall muss zumindest abklingen und so lange sicher verwahrt werden.

Zumindest beim eigentlichen Containment des Fusionskraftwerks (ca. 5.000 t gegenüber 500 Tonnen bei althergebrachten AKW) müssten diese Mengen sicherlich ebenfalls über 100 Jahre (vielleicht auch 500? – wer weiß das schon so genau) sicher verwahrt werden.

Endlager? Ach – das suchen wir noch.

Was niemand, der flammend für Kernenergie spricht, irgendwo haben will, ist ein Endlager. Das suchen wir seit weit mehr als 60 Jahren nun vergeblich. Gorleben? Komplette und sündhaft teure Fehlentscheidung.

Bei Kernfusionsabfällen müsste man sicherlich kein Endlager für Millionen Jahre haben, aber zumindest doch sicherstellen, dass der strahlende Müll zumindest mal 100 bis 500 Jahre sicher verwahrt ist. Den Pförtner der Anlage sollte man da gehaltsmäßig am besten schon mal einrechnen. Vielleicht auch Wachschutz und was auch immer anfällt. Das sind dann bestimmt 2,7 Mrd. Euro. Die hat man ja auch bei ITER geschätzt. Was draus geworten ist, wissen wir ja nun.

Während ich das hier so schreibe, kommen mir plötzlich Windräder, Solaranlagen und Gaskraftwerke gar nicht mehr so gefährlich vor, oder?

Ein Beitrag mit Meinung von
Christian Schön, FDP Fraktionsvorsitzender

Ein paar Quellen seien noch genannt:

Wikipedia: ITER

ITER-Projekt – Kurzbeschreibung der EU