Mandatsträger haben ihre Überzeugungen und lassen diese Überzeugungen in ihre politische Arbeit einfließen. Manche werden sogar gerade wegen ihrer z.B. religiösen oder auch ideologischen Überzeugungen gewählt, und nach der Gemeindeordnung ist das einzelne Ratsmitglied bei seiner politischen Tätigkeit nur diesen seinen Überzeugungen, sofern sie dem öffentlichen Wohl dienen, und dem Gesetz verpflichtet
Der Rat ist ein „Zwitter“. Er ist zum einen Parlament mit von der Bürgerschaft direkt gewählten Mitgliedern. Er ist aus verwaltungsrechtlicher Sicht jedoch Teil der Gemeindeverwaltung. Und wenn auch das Verhältnis zwischen Bürger und Rat unter streng juristischer Betrachtung kein öffentlich-rechtliches Verhältnis ist, so erwartet doch der Bürger (hier: die AG Einkaufsstadt), der bei einer Behörde einen Antrag auf Erlass einer ordnungsbehördlichen Verordnung stellt (hier: auf Freigabe eines Sonntages als „verkaufsoffen“), dass sein Antrag nach öffentlich-rechtlichen Grundsätzen behandelt wird, und dies mit Recht.
Nach Auffassung der FDP hat der Rat einen solchen Antrag zu behandeln ausschließlich auf der Grundlage unserer Verfassung und im Rahmen der bestehenden Gesetze. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Und nach unserer Verfassung gilt in unserem Land die Trennung von Religion und Staat. Genauso wie die freie Religionsausübung verfassungsmäßig garantiert ist, genauso ist – gleichrangiges – Verfassungsgut, dass der Bürger sein Leben eigenverantwortlich gestalten darf, frei von religiös motivierter staatlicher Beeinträchtigung und Bevormundung.
CDU-Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sagte in einem ZDF-Interview anlässlich des dritten Integrationsgipfels Anfang November 2008 wörtlich: „Religiöse Überzeugung kann nicht Grundlage weltlicher Ordnung sein.“ Damit beschreibt der Minister einen wesentlichen Grundsatz unserer Verfassung. Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Bei der Behandlung eines Antrags der AG Einkaufsstadt auf Erlass einer ordnungsbehördlichen Verordnung dürfen die im Rat vertretenen religiösen (aber auch gewerkschaftlich-ideologischen) Überzeugungen keine Rolle spielen.
Weiterhin hat sich die Behandlung des Antrags im Rahmen der bestehenden Gesetze, hier des Ladenöffnungsgesetzes, zu vollziehen. In diesem Gesetz wird die örtliche Ordnungsbehörde ermächtigt, pro Jahr bis zu vier verkaufsoffene Sonntage freizugeben. Beschlussgremium ist der Rat. Diejenigen Ratsmitglieder, die entsprechende Anträge der AG Einkaufsstadt aus persönlich-religiösen oder gewerkschaftlich-ideologischen Gründen ablehnen, wenden sich gegen verkaufsoffene Sonntage generell. Sie legen das Ladenöffnungsgesetz so aus, als seien sie durch das Gesetz ermächtigt zu entscheiden, ob sie es überhaupt anwenden wollen oder nicht.
Die Intention des Gesetzgebers ist eindeutig. Ziel des Ladenöffnungsgesetzes (früher „Ladenschlussgesetz“) ist die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten. Stellvertretend sei die NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben am 16.11.06, am Tage der Beschlussfassung durch den Landtag, zitiert: „Wir wollten (mit dem Gesetz) so schnell wie möglich die Verantwortung für die Ladenöffnungszeiten auf die Einzelhändler vor Ort übertragen, denn sie wissen am besten, zu welchen Zeiten sie ihre Kunden erreichen.“ Auch hier ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Die generelle Ablehnung von verkaufsoffenen Sonntagen durch einzelne Ratsmitglieder widerspricht der Intention des Gesetzgebers.
Mandatsträger sind nur ihrem Gewissen verpflichtet. Jedoch sollte sich kein Ratsmitglied anmaßen, religiöse und andere private Befindlichkeiten über den Willen des Gesetzgebers und über unsere in der Verfassung dokumentierte Werteordnung zu stellen.